Entscheidungssammlungen und Entscheidungen gibt es wie Sand am Meer. Diese Sammlung konzentriert sich auf diejenigen Entscheidungen auszugsweise, die in beinahe jedem Sorgerechtsstreit eine Rolle spielen. Es wird erklärt, was alle wissen müssen. Dabei muss man nicht ellenlange Entscheidungen herausarbeiten, die wichtigen Sätze werden fertig für den Einsatz dargestellt und mit kurzen, einfachen Worten erläutert.
Achtung: 2., erweiterte Auflage in Vorbereitung!
Heute stelle ich Euch die Einleitung der 2. Auflage vor:
Sorgerechtsverfahren sind diejenigen, die Menschen am Stärksten belasten: Wenn (frühmorgens) die Polizei klingelt und der Gerichtsvollzieher die Kinder mitnimmt, ist dies für alle Beteiligten eine traumatisierende Erfahrung. Wir kennen die Bilder, die sich auf YouTube und in Nachrichtensendungen wiederholen: Schreiende Kinder, überforderte Beamte und schweigende Jugendamtsmitarbeiter. Kaiserslautern, Helbra, all diese Szenerien werden wir nie vergessen, die aber nur dank Videoaufnahmen überhaupt die Öffentlichkeit erreicht haben.
Wenn der Fall eingetreten ist, dann gilt es, schnellstmöglich die Kinder dorthin zurückzuholen, wo es ihnen am besten geht: Zu den Eltern, nach Hause. Wenn der Fall bevorsteht, ist es besser schnellstmöglich gegenzusteuern.
Doch wie gegen den Beschluss des Gerichtes vorgehen?
Dieses Buch soll nicht die kompetente juristische Beratung ersetzen, aber häufige rechtliche Fehler (auch in der anwaltlichen Beratungspraxis) anhand von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufzeigen. Die wichtigsten Entscheidungen, die man in beinahe jeder Sorgerechtsentscheidung benötigt, werden aufgezeigt, zitiert und kritisch erläutert. Betroffene Eltern sollen so in die Lage versetzt werden, rechtliche Rahmenbedingungen zu erfahren. Mit diesem Buch soll in einem gerichtlichen Verfahren alles an Basiswissen vorhanden sein, das man benötigt, um dem gegnerischen Anwalt, dem Gericht oder dem Jugendamt ausreichend fundiert erwidern zu können.
Dies heißt freilich nicht, dass damit jeder Fall bereits gewonnen ist. Aber rechtliche Argumente fernab der emotionalen Belastung zu haben ist ein wichtiger Schritt nach vorne.
Freilich ist es mir bereits untergekommen, dass diese Argumentation anhand (bindender!) Verfassungsrechtsprechung von einer Richterin in München als „Kräftemessen mit dem Gericht“ bezeichnet wurde. Das kann man so sehen, wirft aber kein wirklich gutes Licht auf die Arbeitseinstellung mancher Richter. Natürlich ist damit auch noch nicht das Problem von Falschbehauptungen von Nachbaren oder Lehrern, Falschaussagen von Familienhelfern und Falschgutachten von sogenannten Experten aus der Welt geschaffen. Zwar werde ich auch hierzu einen Teil meines zwölfjährigen Erfahrungsschatzes beisteuern, aber hier ist das Vorgehen individuell zu bestimmen.
Anwaltliche Unterstützung ist daher immer eine gute Wahl.
Ich hoffe gleichwohl mit diesem Werk ein wenig helfen zu können, damit rechtliche Zusammenhänge und Regeln verständlicher werden und damit häufige Fehler, oft aus Bequemlichkeit geboren, schnell erkannt und gegebenenfalls beseitigt werden.
Meerbusch, Mai 2019
Michael Langhans

Gesicherte Ermittlungsgrundlage
Das der Amtsermittlung unterworfene Gericht muss also nicht nur entscheiden, sondern auch noch „gesicherte“ Ermittlungsgrundlagen verwenden, nicht nur Behauptungen:
“Das Gericht hat – auch nach eigener Einschätzung – nicht auf gesicherter Ermittlungsgrundlage entschieden; es beabsichtigt, das aus seiner Sicht notwendige Sachverständigengutachten, das sowohl psychiatrischen wie familienpsychologischen Sachverstand erfordere, erst in einem Hauptsacheverfahren einzuholen. Wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs durfte der die Wegnahme des Kindes vorbereitende Sorgerechtsentzug auf diesen vorläufigen Ermittlungsstand nur dann gestützt werden, wenn die Gefahr einer schweren und zeitlich nahen Kindeswohlgefahr bestand, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ausschloss.”
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 07. April 2014 1 BvR 3121/13 – Rn. 26
Nicht jede Behauptung, jeder Beleg, jede Tatsache reicht im eA Verfahren aus für eine gerichtliche Entscheidung: Trotz des reduzierten Umfangs des Nachweismaßstabes sind die Entscheidungsgrundlagen gesichert zu erheben, nicht zu raten oder zu vermuten. Alleine die Tatsache dass in der Hauptsache vielleicht weitere Beweise erhoben werden rechtfertigt keine Entscheidung ohne gesicherte Grundlagen. Mit anderen Worten: Richter müssen sich Mühe bei der Entscheidung geben, Abwägen, auch Beweise erheben und Entscheiden ob all das ausreicht. Je schwerer allerdings die befürchtete Gefahr für das Kind ist, desto weniger hoch sollen die Anforderungen für die Darlegung sein.
Zu kurze Begründung
Auch eine zu kurze Begründung kann ein Hinweis auf eine falsche Entscheidung sein:
“Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung einer Kindeswohlgefährdung durch den Beschwerdeführer sind gemessen an der enormen Tragweite der Entscheidung für Kind und Vater – auch im Vergleich zu sonstigen, regelmäßig besonders ausführlichen, familiengerichtlichen Entscheidungen zu ähnlichen Sachverhalten – knapp gehalten. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts sind mit 16 Zeilen sehr dürftig ausgefallen.”
zitiert nach BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 – Rn. 25)
Natürlich postuliert das Bundesverfassungericht keine Mindestzahl an Anzeichen, und tatsächlich waren es andere Fehler, die zur Aufhebung dieser Entscheidungen führten. Aber es ist gleichwohl wichtig zu erwähnen, dass Richter auch nach Meinung des Bundesverfassungsgerichtes ihre Argumentation ausführlich zu Papier bringen müssen, eben weil eine enorme Tragweite durch den Eingriff in Artikel 6 des GG gegeben ist.. Da reicht es eben nicht aus, zwischen Kaffee- und Zigarettenpause eben einmal seine Standardformulierung wiederzugeben.
Was ist jetzt eine gute Begründungszahl? Bei einer Hauptsacheentscheidung würde ich 20 Seiten als angemessen Betrachten, auch wenn das BVerfG 16 Seiten noch als sehr dürftig bezeichnet. Alles unter 20 Seiten dürfte definitiv zu wenig sein. In der einstweiligen Anordnungsentscheidung, in der oft weniger Belege und Beweise zur Verfügung stehen, dürften 10-15 Seiten ausreichen – was selten genug erreicht wird. Wer in Grundrechte eingreift, muss dies eben sorgfältig und ausführlich begründen. Ob man freilich über mehr Papier bessere Qualität erzwingen kann, wage ich zu bezweifeln.
Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit der befürchteten Beeinträchtigung sind zu benennen
Ein klassischer Fehler vieler Entscheidungen: Die Gerichte benennen nur, dass eine Kindswohlgefahr besteht, definieren diese aber nicht näher. Nicht nur, dass man dadurch nicht weiss, wogegen man sich verteidigen muss, das ist schlichtweg verfassungswidrig. Hierzu das BVerfG:
“Die angegriffenen Entscheidungen verfehlen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenfeststellung auch deshalb, weil sie zwar auf mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingehen, ohne dass sich daraus aber ergibt, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes sind und weshalb diese Gefahren so gravierend sind, dass sie eine Fremdunterbringung legitimieren. Für die Fachgerichte ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG das Gebot, die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen und sie vor dem Hintergrund des grundrechtlichen Schutzes vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern zu bewerten. Die Fachgerichte werden dem regelmäßig nicht gerecht, wenn sie ihren Blick nur auf die Verhaltensweisen der Eltern lenken, ohne die sich daraus ergebenden schwerwiegenden Konsequenzen für die Kinder darzulegen.”
zitiert nach BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 – Rn. 25
Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass eine Eingrenzung der Gefahr erfolgen muss. Was droht dem Kind (Schläge zB), wie wahrscheinlich der Eintritt dieser Gefahren ist (ist bereits erfolgt oder wird bald erfolgen), welche Auswirkungen (breits verhaltensauffällig). Eine Bewertung muss auch und gerade in Abwägung der Folgen der Fremdunterbringung erfolgen. Selbst wenn Entscheidungen die Gefahr als solche benennen, wird oft vergessen mit den Gefahren der Fremdunterbringung abzuwägen.
Rückführung so schnell es die Umstände erlauben
Darauf weist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung Kutzner ./. Deutschland hin:
“67. The margin of appreciation to be accorded to the competent national authorities will vary in the light of the nature of the issues and the seriousness of the interests at stake, such as the importance of protecting the child in a situation in which its health or development may be seriously at risk and the objective of reuniting the family as soon as circumstances permit.“
zitiert nach EGMR, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2002 – 46544/99 – Rn. 67
Noch deutlicher wird der EGMR ab Randnummer 76:
“76. The Court further reiterates that a care order should in principle be regarded as a temporary measure, to be discontinued as soon as circumstances permit, and that any measures implementing temporary care should be consistent with the ultimate aim of reuniting the natural parents and the child (Olsson (no. 1), cited above, pp. 36-37, § 81). The positive duty to take measures to facilitate family reunification as soon as reasonably feasible will begin to weigh on the responsible authorities with progressively increasing force as from the commencement of the period of care, subject always to its being balanced against the duty to consider the best interests of the child (K. and T. v. Finland, cited above, § 178). “
zitiert nach EGMR, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2002 – 46544/99 – Rn. 76
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind Sorgerechtsmaßnahmen von zeitlich eingeschränkter Natur, mit dem ultimativen Ziel der Familienrückführung. Muss man mehr sagen als diese schlichte Weisheit zitieren? Sobald die Risiken übersehbar sind oder wegfallen, muss sich der Staat um Rückführung bemühen.
Gericht muss Gutachtenssachverhalt überprüfen
Dass Richter ihre Amtsermittlung gern durch den Sachverständigen erledigen lassen, ohne selbst Beweis zu erheben, ist falsch, aber auch alltag. Dies ändert aber nichts daran, dass das Gericht zumindest prüfen muss, ob das was der Sachverständige ermittelt und ausführt, richtig ist:
“Das Amtsgericht übernimmt vielmehr die Einschätzung der psychologischen Sachverständigen, dass es sich bei den aufgezählten Risiken um eine Kindeswohlgefährdung handele, ohne die tatsächlichen Ausführungen und Wertungen der Sachverständigen einer spezifisch rechtlichen Bewertung zu unterziehen, derer es hier bedürfte, um das Gewicht der Kindesbelange im Verhältnis zum Elternrecht der Mutter würdigen zu können. “
zitiert nach BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2012 – 1 BvR 3116/11 – Rn. 24
Eltern müssen Kindsbegutachtung zustimmen
Solange nicht alle elterlichen Rechte entzogen sind, müssen Eltern der Begutachtung durch den Sachverständigen zustimmen. Ein ohne Zustimmung erholtes Gutachten ist unverwertbar, so der Bundesgerichtshof.
“Vor allem aber war das Gutachten deshalb nicht verwertbar, weil die psychologische Begutachtung des Kindes erfolgt war, ohne dass die erforderliche Zustimmung der Mutter vorgelegen hätte (vgl. OLG Frankfurt FF 2000, 176; Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 73; Vogel FPR 2008, 617) und ohne dass von Seiten des Gerichts Maßnahmen ergriffen worden wären, die eine Begutachtung gegen den Willen der Mutter ermöglicht hätten. Insbesondere war zum Zeitpunkt der psychologischen Begutachtung des Kindes am 18. November 2008 der Beschluss des Amtsgerichts vom 5. Juni 2008, mittels dem der Mutter vorläufig die gesamte elterliche Sorge entzogen worden war, bereits durch das Oberlandesgericht aufgehoben worden.”
zitiert nach BGH, Beschluss des 12. Senats vom 17. Februar 2010 – XII ZB 68/09 – Rn. 42
Der Teufel liegt also im Detail: Nur wenn nur Teilbereiche entzogen sind, kann das Kind ohne Zustimmung der Eltern nicht begutachtet werden. Es muss dann eine eigene Ersetzung der Entscheidung der Eltern stattfinden, die ggf. wieder an eine gegenwärtige Gefahr anknüpft. Genau deshalb neigen viele Gerichte dazu, einfach die ganze Sorge zu entziehen. Das ist einfacher und verhindert Probleme in der Rechtsanwendung – zu Lasten des Kindswohls, zu Lasten des Elternrechts.
Nicht jedes Versagen reicht zum Sorgerechtsentzug
Eltern dürfen auch Fehler machen – so könnte die folgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umschreiben:
“Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 ; 60, 79 ). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen.”
zitiert nach BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 – 1 BvR 160/14 – Rn. 28
Nicht jede negative optimierungsbedürftige Situation rechtfertigt also ein staatliches Tätigwerden. Solange Fehler sich nicht auswirken, sind diese dem staatlichen Zugriff entzogen. Das ist insoweit ja auch richtig, weil es oftmals in Situationen verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten der Eltern gibt und die Eltern eben nicht Angst haben sollen zu entscheiden, weil eine Fehlentscheidung Konsequenzen haben könnte. Es gibt ja oft auch nicht „die“ richtige Entscheidung.
Gegenwärtigkeit der Gefahr
Wie definiert sich nun die Gefahr für das Kindswohl, die der Gesetzgeber in §1666 BGB nicht ausreichend geregelt und gar nicht definiert hat? Der Bundesgerichtshof nahm hierzu Stellung:
“a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene
Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Senatsbeschlüsse BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 Rn. 19 und vom 15. Dezember 2004 – XII ZB 166/03 – FamRZ 2005, 344, 345 mwN). Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls hat der Senat die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt (Senatsbeschlüsse BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19 und vom 6. Dezember 1989 – IVb ZB 66/88 – FamRZ 1990, 392, 393 mN, jeweils zu § 1671 BGB).”
zitiert nach BGH, Beschluss des 12. Zivilsenates vom 26. Oktober 2011 – 1XII ZB 247/11 – Rn. 25
Die Gefahr muss also gegenwärtig sein, nicht vergangen und nicht rein künftig. Sie muss heute vorhanden sein. Sie muss zudem zu einer erheblichen Schädigung führen können, nicht bloß zu Negativentwicklungen oder unbedeutenden Schäden.
Die Schädigung muss mit ziemlicher Sicherheit voraussagbar sein, d.h. einerseits braucht es keinen Vollbeweis einer solchen Schädigung, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit, andererseits reichen bloße Möglichkeiten des Schadenseintritts nicht aus.
Regelhaft als Bemessungskriterien nennt der BGH die Erziehungseignung der Eltern, Bindungen des Kindes, Förderung, Kontinuität sowie den Kindswillen, bei denen für einzelne Aspekte eben eine gegenwärtige erhebliche Schädigungsgefahr mit ziemlicher Sicherheit bestehen muss.
Sorgerechtsentzug auf Vorrat ist unzulässig
Gemeint sind Rechtsübertragungen, die man nicht sofort umsetzt, sei es weil man noch keine Notwendigkeit sieht, sei es weil man noch keinen Theraphie- oder Heimplatz hat:
“Der Sorgerechtsentzug war hier jedoch nicht geeignet, die damit bezweckte Fremdunterbringung zu erreichen. Das Amtsgericht ging selbst davon aus, „dass derzeit noch keine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht“. Durch den Sorgerechtsentzug sollte vielmehr gewährleistet werden, „dass die für [das Kind] dringend erforderliche Hilfe zeitnah und zuverlässig umgesetzt werden kann, sobald eine geeignete Einrichtung gefunden worden ist“. Dies genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Entziehung des Sorgerechts nicht.
Inwiefern ein solcher Sorgerechtsentzug „auf Vorrat“ dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot überhaupt genügen kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Grundsätzlich dürfte es Jugendamt und Familiengericht allerdings auch ohne vorrätige Sorgerechtsentziehung möglich sein, in sehr kurzer Zeit gemeinsam eine Sorgerechtsübertragung herbeizuführen, sobald sich eine Fremdunterbringungsmöglichkeit realistisch abzeichnet. Jedenfalls ist ein Sorgerechtsentzug auf Vorrat dann nicht zu rechtfertigen, wenn – wie hier – für das Familiengericht bereits deutlich erkennbar ist, dass die zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderliche Fremdunterbringung des Kindes in näherer Zeit kaum möglich sein wird.”
zitiert nach BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. März 2014 – 1 BvR 2695/13 – Rn. 40)
Entweder es liegt eine Gefahr vor, dann muss man sofort handeln. Oder eine solche liegt nicht vor und man kann abwarten. Wer also abwartet, der negiert eine sofortige Gefahr, der negiert dass die Voraussetzungen des §1666 BGB vorliegen. Wer eine Notwendigkeit für Kindergarten oder Heim geltend macht, muss einen solchen Platz auch haben, alles andere wäre Vorratsverbescheidung, die verfassungswidrig ist.
Gerade in Großstädten ist daher genau zu überprüfen ob im Zeitpunkt der Entscheidung überhaupt tatsächliche Plätze für das/die Kinder zur Verfügung standen oder nicht. Selbst wenn eine Gefahr besteht muss erst die Möglichkeit der anderweitigen Abhilfe geklärt sein um verfassungsrechtlich unbedenklich zu entscheiden. Denn andere Maßnahmen hieße ja, dass eine Entziehung unverhältnismäßig wäre.
Zweite Auflage in Vorbereitung!