Uns erreichen, auch über den Kartalstiftungsverein, beunruhigende Informationen: Geht Deutschland gegen türkischstämmige Deutsche vor? Im Schatten der „Black Lives Matter“ Bewegung ein besorgniserregender Vorgang gegenüber in Deutschland aufgewachsenen Menschen und teils unter Verkennung der Rechtslage.
Wenn sich auch türkischstämmige Menschen um einen neuen oder ersten deutschen Personalausweis bemühen, werden diese auf die Türkei und angeblich behauptetes Wahlverhalten dort thematisiert. Den Bürgerbüro- und Passwesenmitarbeiter geht es schlicht nichts an, ob man im Ausland wahlberechtigt ist und wählt, und schon gar nicht wen.
Hier scheinen Vorurteile zu Tage zu treten, die es nicht geben dürfte.
Türkischstämmige Deutsche beunruhigt
Doch verständlicherweise sind die Betroffenen beunruhigt. Wie reagiere ich? Will mich Deutschland loswerden? Wie ist die Rechtslage? Wir versuchen Euch aufzuklären.
In den letzten Jahren hatte sich das Thema doppelte Staatsbürgerschaft mehrfach geändert. Vom „nein“ und der Optionspflicht (ein „auch“ deutsches Kind muss sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden) hin zum nunmehrigen Optionsmodell, das die Optionspflicht nur vorsieht, wenn ein Kind keine deutsche Staatsbürgerschaft nach dem Abstammungspflicht („ius sanguinis“) oder dem optionalen ius soli („Geburtsortsprinzip“) zusteht.
Wir beantworten die wichtigsten Fragen, türkischstämmige Deutsche zu beruhigen:
Darf man die deutsche und die türkische gleichzeitig Staatsbürgerschaft haben als türkischstämmiger Deutscher?
Ja.
Beide Staatsbürgerschaften darf derjenige haben, der mit der Geburt sowohl die deutsche Staatsbürgerschaft nach dem Geburtsortsprinzip („ius soli“) erworben hat und gleichzeitig die ausländische (hier türkische) Staatsbürgerschaft.
Wer diese Voraussetzungen nicht erfüllt, der muss sich entscheiden, welche Staatsbürgerschaft er behalten möchte und dies gegenüber den deutschen Behörden nach Vollendung des 21. Lebensjahres und spätestens vor dem 23. Geburtstag benennen und belegen, dass die ausländische Staatsbürgerschaft aufgegeben wurde und die alleinige Deutsche angestrebt ist.
Wie sieht es aus für die Deutsch-Türken aus, die die türkische Staatsbürgerschaft vor 01.01.2000 erworben haben aus?
Für diese türkischstämmigen Deutschen galt eine Übergangsregelung des §40b StAG
Ein Ausländer, der am 1. Januar 2000 rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn bei seiner Geburt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 vorgelegen haben und weiter vorliegen. Der Antrag kann bis zum 31. Dezember 2000 gestellt werden.
Die Einbürgerungsfristen waren also abgekürzt. Die Optionspflicht läuft dann nach den normalen Regeln, die ich im nächsten Punkt beschreibe.
Wie sieht es aus für die, die die türkische Staatsbürgerschaft nach 01.01.2000 erworben haben aus?
(1) Optionspflichtig ist, wer1. die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Absatz 3 oder § 40b erworben hat,
- 2. nicht nach Absatz 1a im Inland aufgewachsen ist,
- 3. eine andere ausländische Staatsangehörigkeit als die eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz besitzt und
- 4. innerhalb eines Jahres nach Vollendung seines 21. Lebensjahres einen Hinweis nach Absatz 5 Satz 5 über seine Erklärungspflicht erhalten hat.
Der Optionspflichtige hat nach Vollendung des 21. Lebensjahres zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will. Die Erklärung bedarf der Schriftform.
(1a) Ein Deutscher nach Absatz 1 ist im Inland aufgewachsen, wenn er bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres
- 1. sich acht Jahre gewöhnlich im Inland aufgehalten hat,
- 2. sechs Jahre im Inland eine Schule besucht hat oder
- 3. über einen im Inland erworbenen Schulabschluss oder eine im Inland abgeschlossene Berufsausbildung verfügt.
Als im Inland aufgewachsen nach Satz 1 gilt auch, wer im Einzelfall einen vergleichbar engen Bezug zu Deutschland hat und für den die Optionspflicht nach den Umständen des Falles eine besondere Härte bedeuten würde.
Es kommt ausschließlich darauf an, ob man die deutsche Staatsbürgerschaft von Geburt an erworben hat, also mindestens ein Elternteil auch die deutsche Staatsbürgerschaft bei der Geburt hatte, §4 Absatz 1 StAG.
(1) Durch die Geburt erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ist bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger und ist zur Begründung der Abstammung nach den deutschen Gesetzen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft; die Anerkennungserklärung muß abgegeben oder das Feststellungsverfahren muß eingeleitet sein, bevor das Kind das 23. Lebensjahr vollendet hat.
Das ist das klassische Abstammungsprinzip. Doch hat Absatz 3 eine wichtige Ausnahme für alle in Deutschland geborenen Kinder, deren Eltern keine deutsche Staatsbürgerschaft haben („ius soli“, Geburtsortsprinzip):
(3) Durch die Geburt im Inland erwirbt ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil
- 1. seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und
- 2. ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (BGBl. 2001 II S. 810) besitzt.
Wenn also ein Kind von ausländischen Eltern ohne deutsche Staatsangehörigkeit, aber mit einer mindestens achtjährigen legalen Aufenthaltssituation, auf die Welt kommt, erwirbt es automatisch und unabhängig von sonstigen Aspekten die deutsche Staatsangehörigkeit, auch als Doppelstaatsangehörigkeit. Die Optionspflicht, sich zu entscheiden, gilt dann nicht mehr (s.o.)
Wenn die Eltern nach dem 1.1. trotz deutscher Staatsbürgerschaft im Ausland lebten und das Kind dort geboren wurde, erwirbt es nicht mehr die deutsche Staatsbürgerschaft.
Was sind die sogenannten Ius-soli-Deutsche?
Ius soli, also Geburtsortsprinzip-Deutsche sind solche im Sinne des §4 Abs. 3 StAG, also wenn beide Eltern Ausländer sind, aber seit mindestens 8 Jahren sich einer davon rechtmäßig in Deutschland überwiegend aufhält.
Optionspflicht für Deutsch-Türken?
Die Optionspflicht gilt daher für Deutsch-Türken nur noch dann, wenn man seit Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft keine insgesamt 8 Jahre in Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, also gelebt hat, oder 6 Jahre in Deutschland zur Schule ging oder einen Deutschen Schulabschluss vorweisen kann. Dann gilt die Optionspflicht gem. §29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 1a StAG. Für alle Deutschen von Geburt an, gleich ob nach Abstammungs- oder Geburtsortsprinzip, gilt keine Optionspflicht (!).
Was muss ich den deutschen Behörden erzählen und was nicht, wenn ich die türkische Staatsbürgerschaft habe?
Grundsätzlich melden sich die Deutschen Behörden bei einer Person, die potentiell Optionspflichtig ist, nach dem 21. Geburtstag und vor dem 23. Geburtstag. Die Optionspflicht muss nur ausgeübt werden, wenn man von der Behörde angeschrieben wird. Man muss sich nicht selbst melden. Ohne dieses Anschreiben kann man die Optionspflicht auch nicht verfallen lassen (wer sich nicht entscheidet, verliert normal automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft).
Hilfe, ich soll mein Nüfüs-Kayit-Örnegi (Stammbuchregistereintrag) vom türkischen Konsulaten abholen und dem Bürgeramt vorlegen. Worauf ist hier zu achten?
Hier ist erst einmal zu klären, warum das Bürgeramt diese Information benötigt. Für eine normale Personalausweisbeantragung bedarf es dieses Nüfüs-Kayit-Örnegi Auszuges nicht. Da die Staatsangehörigkeit im Personenstandsregister (Geburtsregister) nur Hinweiskraft i.S. §21 PStG hat, hat dieser Eintrag gem. §55 PStG keine Beweiskraft und ist daher rechtlich irrelevant. Eine entsprechende Auskunft ist daher unzulässig. Etwas anderes würde sich nur dann ergeben, wenn sich Fragen bei der staatsbürgerschaftlichen Bewertung ergeben. Für die Staatsbürgerschaftsklärung ist das Bürgeramt sowieso nicht zuständig.
Wie und woher kann ich mir eine Genehmigung holen, damit ich die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft haben kann? Und wann muss ich wo den Antrag stellen?
Eine Mehrstaatlichkeit ist in Deutschland nach wie vor möglich, auch jenseits der Optionspflicht. Zwar gilt der Grundsatz, dass nur eine Staatsbürgerschaft bestehen soll und beim Erwerb der deutschen idR die fremde abgegeben werden soll. Wer eine ausländische annimmt, verliert die deutsche, §§17, 25 StAG, 10 StAG. Wer die deutsche annimmt, die Ausländische.
Dies gilt aber nicht, wenn die anzunehmende Ausländische eine solche innerhalb der EU oder der Schweiz ist (oder wenn eine solche Person die deutsche annimmt).
Weiter gilt gem. §12 StAG eine Ausnahme, wenn es Schwierigkeiten gibt die ausländische Staatsbürgerschaft zu verlieren, wenn der fremde Staat das entlassen aus seiner Staatsbürgerschaft verhindert oder für eine ältere Person unangemessen lange dauern würde. Auch wenn man erhebliche wirtschaftliche und vermögenstechnische Nachteile erleiden würde, gilt dies.
Diese Genehmigung erhalten Sie beim Bundesverwaltungsamt.
Kann ich nach Ausübung der Optionspflicht wieder Türke werden?
Ja, aber dann tritt wiederum der Grundsatz in Kraft, dass man nur eine Staatsbürgerschaft erwerben kann und damit erst einmal die Deutsche wieder verlieren würde.
Warum die deutschen Behörden gerade jetzt so massiv auf die Klärung dieser Fragen drängen, obwohl dies jahrelang egal war, ist unklar. Ob hier im Hintergrund Bestrebungen bestehen, bestimmte Bevölkerungsgruppen (Leistungsempfänger SGB II) auszuschließen, ist spekulativ und nicht belegt.