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UN Behindertenrechtskonvention als Chance bei Erziehungsunfähigkeit

Ist die UN Behindertenrechtskonvention als Chance bei psychologisch festgestellter Erziehungsunfähigkeit zu verstehen? Dieser Frage nähern wir uns in diesem Beitrag an. Er ist quasi ein Co-Product des Projects Petition EU des CEED und Activinews.

Doch worum genau geht es?

In familienpsychologischen Gutachten werden nicht selten Eltern als erziehungsunfähig dargestellt oder als beschränkt erziehungsfähig. Aufgrund dieser angeblich nicht vorhandenen Fähigkeiten werden dann Sorgerechtsentzüge begründet. Doch wenn ich psychologisch etwas nicht kann, darf man mir das vorwerfen? Ist nicht eher die UN Behindertenrechtskonvention eine Chance für betroffene Eltern?

Mein Video live von gestern Abend:

Schauen wir in den Text der CRPD in der deutschen Übersetzung an:

Erste Chance: Die Präambel der Behindertenrechtskonvention

e) in der Erkenntnis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt
und dass Behinderung aus der Wechsel wirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen
und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen
und gleich berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern,

Diese Präambel ist deshalb so wichtig, weil bewusst und absichtlich eine Klausel gewählt wurde, die Weiterentwicklungen vorsieht. Die Definition des Begriffs Behinderung ist daher nach der Internationalen Situation wandelbar und anpassbar. Er ist nicht statisch. Die Anwendung dieses Begriffes auf Erziehungsfähigkeit ist daher grundsätzlich möglich.

Zweite Chance: Art. 1 der Behindertenrechtskonvention

Artikel 1 der Behindertenrechtskonvention lautet:

Artikel 1
Zweck
Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern,
zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit
verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

Für die Definition ist Absatz 2 relevant. Danach hat eine Behinderung ein Mensch, der

  • langfristig
  • körperlich, seelische, geistige und Sinnesbeeinträchtigung
  • hat
  • die in Wechselwirkung
  • mit Barrieren
  • an der vollen Teilnahe an der Gesellschaft hintern

Wenn also ein Kind länger als sechs Monate in Obhut genommen ist und ein Gutachten oder ein Jugendamtsvorwurf älter als 6 Monate ist, dann wäre dieses Tatbestandsmerkmal gegeben.

Seelische, geistige Beeinträchtigung dürfte bei der psychologischen Diagnostik einer angeblichen Erziehungsunfähigkeit vorliegen, man kann ja nicht für Kinder sorgen.

Daher „hat“ man diese Beeinträchtigung.

Eine Wechselwirkung liegt vor, im Konflikt mit Jugendamt, Nachbaren, Expartnern.

Diese sind auch Barrieren, also unüberwindliche Hürden.

Dadurch ist die Teilhabe am Leben als Familie, als Vater und Mutter gehindert. Die negativen Blicke des Nachbaren, wenn das Jugendamt da war, das Lästern des Ex, Freunde die sagen ich habs ja immer schon geahnt und ein Kind, das man nicht mehr regelmäßig sieht: Das sind klassische Beeinträchtigungen der Teilhabe, die auch andernorts Rollstuhlfahrer oder Psychiatrieinsassen erleben.

Meiner Meinung nach liegt daher nach Art. 1 in Verbindung mit der Präambel der CRPD (Behindertenrechtskonvention) eine Behinderung vor, wenn Gerichtlich, durch Sachverständige oder das Jugendamt diese Erziehungsunfähigkeit behaupet wird.

Risiko?

Achtung: Wer sich auf diese Argumentation einlässt, der muss die Erziehungsunfähigkeit nicht einräumen. Es reicht aus, auf die bestehenden Behauptungen zu verweisen und damit zu argumentieren, wenn dies stimmen würde, dann hätte dies die folgenden Folgen.

Dritte Chance: §1 SGB IX – auch bei drohender Behinderung

Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Kindern mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder sowie Menschen mit seelischen Behinderungen oder von einer solchen Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen.

Wichtig ist hier vorallem, dass Leistungen auch schon einsetzen, wenn diese Behinderung droht. Ihr könnt – das habe ich gestern in der Sendung noch anders gesagt – vor Entzug der Sorge schon loslegen.

Vierte Chance: Definition §2 SGB IX

Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen von Frauen und Kindern mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder sowie Menschen mit seelischen Behinderungen oder von einer solchen Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen.

Diese Definition entspricht weitestgehend Art. 1 CRPD             

Fünfte Chance: §4 SGB IX

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.                                                                                                                                                                                           .

Eltern haben also über das SGB VIII hinausgehend Ansprüche auf Versorgung und Betreuungsunterstützung. Anders als die SPFH wird hier konkret geholfen!

Sechste Chance: §78 SGB IX

(1) Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
(2) Die Leistungsberechtigten entscheiden auf der Grundlage des Teilhabeplans nach § 19 über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Die Leistungen umfassen

1.
die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung der Leistungsberechtigten und
2.
die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung.

Die Leistungen nach Nummer 2 werden von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere die Anleitungen und Übungen in den Bereichen nach Absatz 1 Satz 2.

(3) Die Leistungen für Assistenz nach Absatz 1 umfassen auch Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder.
(4) Sind mit der Assistenz nach Absatz 1 notwendige Fahrkosten oder weitere Aufwendungen des Assistenzgebers, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles notwendig sind, verbunden, werden diese als ergänzende Leistungen erbracht.
(5) Leistungsberechtigten Personen, die ein Ehrenamt ausüben, sind angemessene Aufwendungen für eine notwendige Unterstützung zu erstatten, soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann. Die notwendige Unterstützung soll hierbei vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden.
(6) Leistungen zur Erreichbarkeit einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme werden erbracht, soweit dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich ist.
 
Diese Assistenzleistungen sind unabhängig vom Einfluss des Jugendamtes und weitreichender. Lest es Euch in Ruhe durch.

Vorteile und UN Behindertenrechtskonvention als Chance

Wenn Ihr über die Behindertenbehörde (Bayern das Zentrum Bayern für Familie und Soziales, NRW kommunalisiert, Übersicht hier), seid Ihr unabhängiger vom Jugendamt und dem Familiengericht. Die Behörden müssen Euch schon bei drohender Inobhutnahme fördern (Ausnahme natürlich bei vorsätzlicher Gewalt gegen ein Kind, Missbrauch o.ä.), unabhängig vom Jugendamt, aus einem anderen Finanzsäckel und nach Regeln, die nicht nur das abstrakte Kindswohl sondern insbesondere auch die Familie und die Betroffenenförderung in den Vordergrund stellt. Ihr verliert also nichts, einen Grad der Behinderung für eine behauptete oder bestätigte Erziehungsunfähigkeit zu beantragen.

Im Besten Fall gibt es Förderung einer Rückführung, neue Möglichkeiten der Unterstützung oder ein Gegengutachten.

Im schlimmsten Fall ändert sich nichts.

Ich hoffe, ich habe Euch überzeugt. Der Artikel wird laufend erweitert werden. UN Behindertenrechtskonvention als Chance? Das ist mehr als nur einen Versuch wert!

Die Playlist zum Project Petition EU erhaltet Ihr hier:

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